"Phoenix Rising": "Ich war das perfekte Opfer" (2024)

Die Schauspielerin Evan Rachel Wood wirft ihrem Ex-Partner Marilyn Manson Missbrauch und Manipulation vor. Eine kämpferische Doku arbeitet den Fall nun auf.

Eine Rezension von Julia Lorenz

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Man musssich nur mal das Bild anschauen. Dieses Foto, das die Schauspielerin Evan Rachel Wood mit Anfang 20 zeigt, blass und mit kajalschwarzen Augen, den Blickflehend gen Himmel gerichtet wie eine jugendliche Pietà. Geschossen hat dasSchmerzensbild ihr Exfreund Brian Warner, bekannt als Rockmusiker MarilynManson. Ein Mann in Monstergestalt, der sich als gruselig geschminkte Fratze des hässlichen Amerikas inszeniert, der "Fürsprecherder Verstoßenen", wie ihn Wood in Amy Bergs Dokumentation PhoenixRising nennt. So habe sie ihn gesehen, als sie ihn traf. Von Verliebtheitspricht Wood die gesamten zweieinhalb Filmstunden nicht. Von Angst umso öfter.

Evan RachelWood, heute 34 Jahre alt, und Warner, heute 53, führten eine von Mediendonnerbegleitete Beziehung. Von 2007 bis 2010 waren die beiden ein Paar. Gut zehnJahre nach dem Beziehungsende machte Wood schließlich auf Instagram publik, wassie lange nur angedeutet hatte: Warner habe sie systematisch manipuliert undmissbraucht. Der Fall ist spektakulär, weil die Vorwürfe gegen den AntichristSuperstar Warner (so der Titel eines seiner frühen Alben), der seinen Ruhmauf Grenzüberschreitungen gründete, der Welt eine gewichtige Frage aufbürden:Hätte man das alles wissen können?

Kurz nachdem Wood ihre Anschuldigungen öffentlich gemacht und Warner beim Namen genannt hatte, sprangen ihr weitere mutmaßliche Opfer bei. Zeugen ausWarners Umfeld folgten, seine Plattenfirma Loma Vista beendete die Zusammenarbeit. Warnerstritt alle Vorwürfe ab. Inzwischen haben mindestens sieben Frauenöffentlich schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben, vier davon rechtliche Schritteeingeleitet. Einige dieser Klagen wurden bereits zurückgewiesen, etwa wegenVerjährung, andere sind noch offen. Das Los Angeles County Police Departmentermittelt gegen Warner, hat bisher aber keine Anklage erhoben.

Ob sich Wood – auch vor demHintergrund des kürzlich gefällten Urteils im Prozess zwischen Amber Heard undJohnny Depp – mit Phoenix Rising einen juristischen Gefallen getan hat,ist fraglich. Im vergangenen März, als die Doku in den USA ausgestrahltwurde, hat Warner Klage wegen Rufschädigung eingereicht: gegen Wood und IllmaGore, die auch an Phoenix Rising beteiligt war. Auf die von denFilmemacherinnen erbetene Stellungnahme waren Warner und seine Anwälte nichteingegangen.

DieRegisseurin Berg, bekannt durch die Dokumentation Deliver Us From Evilüber Missbrauch in der katholischen Kirche, hat Wood für den zweiteiligen Filmüber Jahre begleitet. Im Gespräch mit ihrer Familie, beim Spielen mit ihremKind, beim Austausch mit anderen mutmaßlichen Opfern von Warner, etwa der Game-of-Thrones-DarstellerinEsmé Bianco. Und bei ihrem Marsch durch die Instanzen. Lange kämpfte Wood mitihrer eigenen Non-Profit-Organisation in Kalifornien für den Phoenix Act,einen Gesetzesentwurf, um die Verjährungsfrist für Fälle vonPartnerschaftsgewalt von zwei auf zehn Jahre anzuheben. Als das Gesetz Anfang2020 in Kalifornien in Kraft trat, hatte Wood immerhin eine Erhöhung auf fünfJahre erwirkt.

Coole "Wusst-ich's-doch"-Rhetorik

Am Ende derDoku steht der 1. Februar 2021 – der Tag, an dem Wood nach Jahren derAndeutungen die Bombe platzen ließ. An ihrem Anfang stehen Bilder der mal mehr,mal weniger glücklichen Vergangenheit eines Kinderstars, dessen Durchbruchzugleich sein Schicksal besiegeln sollte. Im preisgekrönten Drama Dreizehnspielte Wood einen Teenager, der auf die schiefe Bahn gerät, so überzeugend,dass die Medien das unsichere Mädchen fortan als Teenie-Femme-Fataleinszenierten.

PhoenixRising zeigt, was solche Fremdzuschreibungenanrichten: Das Image, das die Branche Wood verpasste, ließ sie auf WarnersRadar erscheinen. Sie beschreibt, wie er die Beziehung zu ihr alsvertrauensvoller Förderer akribisch vorbereitet haben soll. Durch die langeFreundschaft, die dem Dasein als Paar vorausging, habe er ihre Geheimnisse undwunden Punkte gekannt. "Ich war das perfekte Opfer", sagt Wood in PhoenixRising. Ihre Schilderungen machen plausibel, wie missbräuchlicheBeziehungen funktionieren. Erst fehlt den Opfern die Klarsicht, dann der Mut,irgendwann die Kraft.

Was WarnerFrauen angetan haben soll, in seiner hauseigenen Folterkammer und überhaupt,hat bereits Ende 2021 der US-Rolling Stone imgroßen Stil recherchiert. In PhoenixRising schildert Wood nun aus ihrer Sicht, wie Warner sie von Familie undFreunden isoliert, eingesperrt und bedroht habe. Er soll sie, die Jüdin ist,mit einer Nazipeitsche aus der NS-Zeit verprügelt und ihre Wunden anschließendmit Elektroschocks behandelt haben. Soll über ihre Seite des Bettes "Tötetalle Juden" geritzt, sie auf Crystal Meth und Schlafmittel gesetzt undbewusstlos vergewaltigt haben – wenn sie nicht gerade auf Schlafentzug war.Warner bezeichnete Hitler einmal als "den ersten Rockstar".

Es ist eineHerausforderung, die Faszination dieses personifizierten Bösen greifbar zumachen, ohne seiner Erzählung aufzusitzen. Meistens gelingt das Berg in Phoenix Rising. Geradeder erste Teil der Dokumentation aber hat seine Schwächen, weil er zu viel aufeinmal sein will: intimes Porträt und Aufklärungsfilm, der auf TexttafelnManipulationsstrategien wie "Grooming" und "LoveBombing" erklärt, dazu eine sachliche Doku mit Abstraktionsambitionen.In Zeichentricksequenzen sieht man Wood und Warner als schrecklich nettesGruselmärchenpaar. Sie als kindliche Prinzessin im goldenen Käfig, er als Baronim Schatten: ein fragwürdiges Gestaltungsprinzip, das die Ästhetik derverbotenen amour fou zwischen Lolita und Biest zitiert, die Manson soangemacht haben soll.

In densozialen Medien reagierten nach Woods Anklage viele demonstrativ abgeklärtdarauf, dass der Rockstar im Zuchtmeister-Look, der einst auf eine Tourneeunter dem Namen Rape of the World ging, wirklich ein Vergewaltiger seinsoll. Diese coole "Wusst-ich's-doch!"-Rhetorik drängt einerseitsWarners Opfer in die Rolle von Naivchen, zum anderen liegen ihr gefährlicheAnnahmen zugrunde: dass man Außenseiterfiguren die Gewaltneigung an derbleichen Nasenspitze ansieht. Und dass Künstler, die Grenzgänge unternehmen,ganz sicher irgendeinen Knall haben müssen.

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Author: Sen. Emmett Berge

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